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Cloudsysteme und Homestudios für Radio

Von Lukas Schöne

Die Corona-Pandemie stellt Radiomacher*innen und Audioproduzent*innen vor große Herausforderungen: Viele haben mit wegbrechenden Werbeeinnahmen zu kämpfen und kaum jemand weiß, wie es in den kommenden Monaten weitergeht. Auf der Nutzerseite gibt es aber eine gestiegene Aufmerksamkeit und es ist gerade jetzt wichtig, ein gutes Programm zu senden. Gar nicht so leicht, mit Social Distancing und Abstandsgeboten. Technische Innovationen wie Cloudsysteme und Homestudios für Radio bekommen dadurch einen neuen Stellenwert. Steckt in den Herausforderungen sogar die Chance, die Audioproduktion auf ein neues Level zu heben? Darum ging es bei „Media Insights Audio: Alles anders durch Corona – Herausforderungen oder echte Chancen?” am 17. Juni 2020.

Plötzlich musste alles ganz schnell gehen bei Radio Oberland. Der bayerische Sender aus Garmisch-Patenkirchen erlebte am 10. März 2020 als einer der ersten, welche Auswirkungen Corona haben kann: Ein Mitarbeiter wurde positiv getestet. „Da er bis auf mich und einen Moderator alle getroffen hatte, musste fast der gesamte Sender in Quarantäne“, erzählte Dr. Peter Samstag, Geschäftsführer von Radio Oberland. Seinen Sendeleiter, Simon Fritzenschaften, erreichte die Nachricht erst nach Feierabend. „Mein erster Gedanke war: Ich kann nichts tun, weil ich nicht mehr in den Sender kann. Aber wir mussten ja weiter Radio machen.“ Dem Team von Radio Oberland kam zugute, dass es schon vorher mit radio.cloud – in Bayern bekannt als BayCloudNet – zusammengearbeitet hatte. Radio.could ist ein Cloudsystem für Radiostationen von der bayerischen Firma NexCast. Innerhalb weniger Stunden und über Nacht hat der Sender diese Zusammenarbeit ausgebaut, von Live-Produktion auf „nearly live“ umgestellt und aus der Cloud gesendet. Ohne, dass die Hörer*innen etwas davon mitbekommen haben. „Ich hatte den Eindruck, dass unser Programm nicht schlechter geworden ist – im Gegenteil“, bestätigte auch Dr. Peter Samstag. Es sei vielmehr lokaler geworden.

Nachhaltige Veränderungen

Dafür gesorgt, dass Radio Oberland so schnell reagieren konnte, haben Christian Brenner und seine Kolleg*innen. Brenner ist Geschäftsführer von NexCast und für radio.cloud verantwortlich. Er erläuterte bei Media Insights Audio, warum die Anwendung gerade für die Corona-Pandemie passend ist. „Wir haben sie natürlich nicht für diesen Fall entwickelt, aber mit unserem System ist es erst einmal kein Unterschied, ob ich mich im Sender oder zu Hause befinde.“ Radio.cloud ist komplett webbasiert. Das Ziel war ursprünglich: Moderator*innen sollen die Möglichkeit haben, von zu Hause aus auf jedem Device arbeiten zu können. Neu sei jetzt, dass teilweise der komplette Sendebetrieb auf die Cloud umgestellt wurde, so Brenner. Auch wenn er durchaus ein Fan des klassischen Sendestudios sei, werde vieles von den Veränderungen auch nach Corona bleiben. „Es wird mehr von zu Hause kommen und man kann näher am Hörer sein.“

Radio.cloud punktet mit einer klar strukturierten Benutzeroberfläche (Screenshot: MedienNetzwerk Bayern)
Radio.cloud punktet mit einer klar strukturierten Benutzeroberfläche (Screenshot: MedienNetzwerk Bayern)

Gemeinsam an Technologie arbeiten

Sich an den Hörer*innen orientieren, das möchte auch Markus Kühn, Geschäftsführer des Radiosenders Flux FM und des Technologie-Unternehmens radiosphere GmbH. Mit radiosphere, einem cloudbasierten Ökosystem für Radiosender, verfolgt er eine Plattformstrategie. „Wir haben versucht eine Infrastruktur zu bauen, im Grunde ähnlich wie sie soziale Netzwerke haben.“ Wie jedes Cloudsystem sei auch radiosphere gut remote zu bedienen. Kühn hat die großen Entwicklungen der Audiobranche im Blick und möchte sie bündeln – flexibler Content, Personalisierung, Monetarisierung, Datenauswertung. Und eins ist ihm dabei ganz wichtig: „Wenn wir es schaffen, als Branche in der technischen Entwicklung näher zusammenzurücken und versuchen gemeinsam unsere Hörer zu adressieren, dann erreichen wir 95 Prozent der Leute und können entspannter sein.“ Konkurrenten seien schließlich nicht die anderen Sender, sondern Facebook, Google, Spotify und Co.

Branche hat flexibel reagiert

Anders als Christian Brenner und Markus Kühn hätten das Radiounternehmen REGIOCAST und die Firma ADDIX ihr System ohne Corona gar nicht erst entwickelt. Es handelt sich dabei um Ahoy Conference, ein webbasiertes Videokonferenz-Tool für Radiosender mit Sound in Studioqualität. „Wir hatten durch Corona den gestiegenen Bedarf, standortunabhängig Sendungen produzieren zu können“, so Enno Santjer, Leiter IT & Broadcasting bei REGIOCAST. „Zu den Primetimes auch live.“ Die Moderator*innen per Audio zusammenzuschalten sei natürlich kein Problem. Allerdings sei dabei beispielsweise bei Doppelmoderationen in Morningshows das richtige Feeling auf der Strecke geblieben, da sich die Beteiligten nicht sehen konnten. Übliche Videokonferenzsysteme kommen für den Einsatz im Radio aber wegen verschiedener technischer Barrieren nicht in Frage. Also haben REGIOCAST und ADDIX ein eigenes System entwickelt, das auf die Bedürfnisse von Radiosendern abgestimmt ist. Man kann Ahoy Conferenz im Live-Betrieb einsetzen, aber auch zur Aufnahme verwenden. Enno Santjer: “Wir haben etwa zwei Wochen gebraucht, um es zu entwickeln und sind dann schnell in die Praxis gegangen. Es ist sehr gut angenommen worden und die Moderatoren waren begeistert.“

Generell ist das eine Beobachtung, die alle teilten: Die Audiomacher*innen haben die Situation angenommen und die neue Technik flexibel und pragmatisch in ihren Arbeitsalltag integriert. Das Fazit von Media Insights Audio: Es sind Fortschritte, die wohl bleiben werden. Aller Schwierigkeiten zum Trotz.

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